Der Schweizerpsalm ist nur ein Gesangsstück mit missratenem Text, der sich mit schwülstigen Worten fromm und feierlich gibt. Er lässt den Schweizern einen Gott in der Morgenröte, im Abendglühn, im Nebelflor und im wilden Sturm erscheinen. Wie Eos, die griechische Göttin der Morgenröte, aus Kreuzworträtseln bestens bekannt. Aus dem germanischen Kulturkreis liegen uns Götter näher, die wir täglich in den Wochentagen nennen: Ziu, Donar und Frija. Ihr Göttervater Wodan fuhr als Herr der Toten und der Stürme in der «Wilden Jagd» durch den Himmel. Daran erinnert im Schweizerpsalm Fährst im wilden Sturm daher….»
Mit dem Namen «Psalm» gibt die Hymne vor, den Gott der Bibel zu lobpreisen. Sie beschwört aber die antike und germanische Götterwelt herauf und schränkt Gott auf Naturerscheinungen ein. Solche Religiosität lernte ich im Unterricht als «Pantheismus» kennen. In den vierziger- und fünfziger Jahren erfuhr ich, dass Aufklärung und Reformation uns ein neues Gottesbild ermöglicht haben. Aber unsere Landeshymne benutzt noch immer überholte Bilder aus Altertum und teutonischen Mythen. Sie fordert «freie Schweizer» zum Beten auf, ohne zu sagen, wofür. Kein einziger Wert, keine Errungenschaft unserer Nation wird genannt, kein Grundsatz unserer Verfassung, kein Bekenntnis zu Zusammengehörigkeit, Verantwortung, Schutz und Menschenrecht. Die Hymne wurde auch vor der Gründung der neuen Eidgenossenschaft schon 1842 geschrieben. Ihr Verfasser Leonhard Widmer wuchs nicht in modernen demokratischen Verhältnissen auf. Sein «Schweizerpsalm» wurde vom Komponisten der Hymne, Alberik Zwyssig, noch so zurecht gestutzt, dass er sich in die Melodie einfügte. Der Gottesmann muss Widmers Pantheismus für Religiosität, seinen «Gott im hehren Vaterland» für Patriotismus gehalten haben. Die Melodie ist ja für ein Weihelied wohl geeignet. Durch die langjährige Verbindung mit dem unsäglichen Text ist sie aber kaum mehr mit sinnvollen Versen zu unterlegen, ohne das wir beständig an Widmers Schwulst vom «hehren Vaterland» erinnert werden und an den schwer wiegenden Missbrauch, der mit dieser Wendung getrieben wurde, dass man sie heute kaum ohne Risiko aussprechen kann.
Bis zum 12. November, wird sich in der Kirche Bäretswil die Gelegenheit bieten, die Worte des «Schweizerpsalms» als das zu bezeichnen, was sie sind ein frömmlerisches, pantheistisches Geschwurbel.
Richard Ehrensperger